Ein Beitrag von Sarah Sterz und Torsten Becker

Wir leben in einer digitalen Zeit, in der digitale Kenntnisse und Fähigkeiten immer mehr an Bedeutung gewinnen. Um als mündige Bürger*innen gelten zu können, müssen wir Fähigkeiten haben, die unsere Eltern und Großeltern noch nicht haben mussten. Um heute Selbstbestimmung und Urteilsfähigkeit zu erlangen, müssen Bürger*innen in wesentlichen Zügen verstehen, wie die digitale Welt funktioniert, nachvollziehen können, warum sie so funktioniert, und sich ein begründetes und informiertes Urteil über einzelne Aspekte davon bilden können. 

Kinder und Jugendliche, die gerade in ihrer Schulzeit sind, entstammen schon längst einer Generation, die mit digitalen Medien groß geworden ist. Sie gelten gemeinhin als sogenannte „Digital Natives“. Dennoch bringen auch sie nicht alle Grundlagen mit, die es für eine digitale Mündigkeit braucht. Da es unumstrittenes Ziel von Schulen ist, ihre Schüler*innen zu mündigen Bürger*innen zu machen, ist es die Aufgabe der Schule, auch bestimmte digitale Grundkompetenzen zu vermitteln.

Wie sollen Schulen das bewerkstelligen? Dabei sind zunächst einmal drei Fragen zu klären und daraus resultierende Herausforderungen zu bewältigen:

 

1. Was soll unterrichtet werden?

Erstens stellt sich die Frage, welche Kompetenzen es eigentlich genau zu vermitteln gilt. Häufig werden dabei algorithmisches Denken (sogenanntes „Computational Thinking“) und technische Grundlagen auf der einen und Mediennutzungskompetenzen auf der anderen Seite in den Fokus gerückt. Dabei begegnet einem in der Debatte oft die falsche Dichotomie zwischen verpflichtendem Informatikunterricht für alle und einer digitaleren Ausrichtung von Fächern wie Deutsch und Politik. Die richtige Reaktion darauf ist, wenig überraschend, dass beides wichtig ist, um sich in einer digitalen Welt zurechtzufinden.

Wir benötigen algorithmisches Denken und technisches Basiswissen, mithilfe dessen wir nachvollziehen können, was in unseren Smartphones passiert, wie ein Filteralgorithmus unsere Wahrnehmung von der Welt verzerren kann, wie Machine-Learning-Algorithmen zu einem Urteil über unsere Kreditwürdigkeit kommen oder was aus unseren persönlichen Daten unter Umständen geschlossen werden kann. All das und mehr ist wichtig, um überhaupt zu verstehen, aus welchen Bausteinen unser digitales Leben besteht und wie sich diese im Großen und Ganzen zu der digitalen Welt zusammensetzten, in der wir alle leben. Dieses Basisverständnis könnte in einem verpflichtenden Fach unterrichtet werden.

Aber nicht zwingend jede der zu vermittelnden Kompetenzen sollte sich zwangsläufig in einen solchen Unterricht wiederfinden: Wie wir auf einzelne Informationen zugreifen, welche Dienste, Quellen und Methoden wir in unserem persönlichen, digitalen Leben benutzen sollten und welche besser nicht, können wir umso besser einschätzen, je besser unsere Medienkompetenz ist. So können wir Fehlinformationen besser als solche entlarven und einschätzen, wie zuverlässig eine Onlinequelle ist. Wir sind weniger anfällig für Scams und Phishing und können informierte Entscheidungen darüber treffen, welche persönlichen Daten wir online für welches Publikum freigeben wollen. Auch das sind unverzichtbare Fähigkeiten, die wir als digital mündige Bürger*innen haben sollten. Sie sollten dort vermittelt werden, wo es sich thematisch inhaltlich anbietet, z. B. im Rahmen etablierter Fächer.

Algorithmisches Denken, technisches Grundlagenwissen und Mediennutzungskompetenz alleine reichen aber noch nicht aus, um die digitale Welt in ihrer Gesamtheit zu verstehen. Denn meistens fokussieren wir uns nur auf die Teile, die uns unmittelbar selbst betreffen: meine Daten, mein Newsfeed, meine Onlinerecherche, meine Kreditentscheidung. Wir müssen aber auch das große Ganze erfassen können, denn Digitalisierung passiert und wirkt im gesamtgesellschaftlichen Maßstab und geht damit weit über unsere individuelle Online-Erfahrung hinaus. Wie sonst soll der Bürger*in von morgen entscheiden können, ob die DSGVO nur der Bürokratie dient, oder ob sie – bei allen nervigen Auswirkungen – letztlich ein zentrales Instrument zum Schutz unserer liberalen Demokratie vor der Unterwanderung durch Silicon-Valley-Algorithmen großer Marketingunternehmen ist? Wenn unsere Welt digitaler wird, werden politische Entscheidungen mit digitalem Inhalt auch unvermeidlich immer häufiger und weitreichender. Um eine gute Wahlentscheidung zu treffen oder sich souverän in den gesellschaftlichen Diskurs einbringen zu können, müssen Bürger*innen lernen, all dem Rechnung zu tragen, müssen also digitale Mündigkeit erlangen. Dieser Lernprozess muss schon in der Schule beginnen, die alle nötigen digitalen Fähigkeiten vermitteln sollte – inklusive gesellschaftlicher, politischer und moralischer Kompetenzen.

Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat das Referenzmodell „Kompetenzen in der digitalen Welt“ herausgegeben, das explizieren soll, welche Kompetenzen Schüler*innen vermittelt werden sollen. Dieses Modell ist jedoch mit mindestens zwei Schwierigkeiten behaftet: Zum einen müssen solche Dokumente immer ein gewisses Abstraktionsniveau besitzen, um auch über längeren Zeitraum Gültigkeit zu behalten. Das wiederum macht es schwieriger, Fragen der Umsetzung zu klären und kann Lehrer*innen deshalb nur wenig Handlungsanleitung zur Unterrichtsgestaltung bieten. Zum anderen stellt sich im konkreten Fall der KMK-Ziele die Frage nach einer Vollständigkeit. Insbesondere gesellschaftliche, politische und moralische Kompetenzen kommen hier zu kurz. Im Bereich der rechtlichen Kompetenzen ist das Modell hingegen konkreter. Sowohl für die Themen Urheberrecht und Persönlichkeitsrechte (3.3), als auch für den Datenschutz (4.2) existieren konkrete Teilkompetenzen.

Mit dem Referenzmodell der KMK werden wir uns noch einmal ausführlicher in einem separaten Blogbeitrag beschäftigen.

2. Wie soll das unterrichtet werden?

Um diese Frage zu beantworten, braucht es Methoden, Materialien, Zeit und vor allem eine Strategie. Viele gesellschaftliche Diskussionen legen derzeit entweder nahe, die Informatiklehrer*innen könnten den kompletten Kompetenzerwerb einer digitalen Realität übernehmen, oder, vielleicht noch gravierender, jeder müsste nun quasi Informatik studieren. Beides ist in Anbetracht der vielfältigen Kompetenzen, die es zu vermitteln gilt, nicht plausibel. Denn weder kann es von einer Informatiklehrerin verlangt werden, dass sie ethische Aspekte mit Schüler*innen diskutiert, noch muss ein Politiklehrer alle technischen Details, die ein Informatikstudium vermittelt, kennen, um gesellschaftliche Aspekte der Digitalisierung zu unterrichten. Die geforderten „digitalen Kompetenzen“ sind häufig Meta-Kompetenzen, die nicht in einem einzelnen Fach zu verorten sind. Es braucht also fächerübergreifende Zusammenarbeit, die Schüler*innen zu einer möglichst fundierten digitalen Basis verhilft. Die Herausforderung hierbei ist, dass es für digitale Bildung größtenteils noch keine etablierten Ansätze gibt und geben kann, sondern die Gestaltung der digitalen Bildung parallel zur Digitalisierung mitwachsen muss.

Ein Beispiel dafür sind Prüfungsverfahren, die der digitalen Welt oft nicht gerecht werden: Leistungskontrollen in Einzelarbeit und ohne Hilfsmittel entsprechen nicht der Wirklichkeit. Zeitgemäße Ansätze müssen es ermöglichen, neben klassischen Prüfungsverfahren auch solche Formate zu bieten, die „digitale Kompetenzen“ angemessen prüfen können. Wenn zum Beispiel geprüft werden soll, ob Schüler*innen digitale Kollaborationstools nutzen können, dann kann dies nicht mit Stift und Papier in einer Klassenarbeit geschehen.

Zum einen wurden viele Bildungspläne der Länder hinsichtlich digitaler Kompetenzvermittlung noch nicht hinreichend überarbeitet und Freiräume für digitale Bildung fehlen oftmals. Zum anderen fällt mit Blick auf die Lehrpläne auf, dass existierende Anknüpfungspunkte in der Praxis nicht genutzt werden. Das Verständnis von „digitalen Kompetenzen“ als Meta-Kompetenzen muss seinen Weg in die Lehrpläne finden, vor allem durch eine durchdachtere und nachhaltigere Vernetzung der Fächer.

 

 3. Wer soll das unterrichten?

Nur mündige Lehrer*innen können Schüler*innen zu mündigen Bürger*innen ausbilden. Vielen Lehrer*innen fehlen allerdings selbst die nötigen digitalen Kompetenzen. Lehrer*innen müssen also ihrerseits erst einmal die Möglichkeit bekommen, zu digital mündigen Bürger*innen zu werden, weshalb „digitale Kompetenzen“ (und die Vermittlung derselben) integraler Bestandteil der Lehrer*innenaus- und Weiterbildung werden muss. Aus- und Weiterbildung brauchen jedoch Zeit, die die aktuelle Generation von Schüler*innen jedoch nicht hat. Umso wichtiger ist der Zusammenhalt und das gemeinsame Ausarbeiten zentraler Ziele anhand bestehender Unterrichtsbeispiele und -konzepte.

Ein solches Projektbeispiel hat Torsten Becker auf der letzten Didacta in Köln vorgestellt. Informationen hierzu finden Sie in einem separaten Blogbeitrag.

Im Zuge der pluralen digitalen Herausforderungen sollten wir uns auch vom Bild des reinen Fachexperten verabschieden, der seine Autorität den Schüler*innen gegenüber vordergründig durch seine hohe Expertise bezieht. Stattdessen müssen kreative Lösungen gefunden werden, die Lehrer*innen helfen, ihren Schüler*innen auf dem Weg zur digitalen Mündigkeit zu unterstützten, ohne selbst zwangsläufig Experten der Digitalisierung zu sein. Dennoch ist es wichtig, dass Lehrer*innen selbst mindestens das Maß an digitalen Grundkompetenzen in den Unterricht mitbringen müssen, das ihre Schüler*innen am Ende haben sollen. Nur so kann gewährleistet werden, dass Lehrer*innen ihrer Aufgabe gerecht werden können. Hier darf man gespannt sein, welche Wirkung z. B. die „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ mit ihrer neuen Förderrichtlinie entfalten wird.

 

Fazit

Schüler*innen müssen zu digitaler Mündigkeit befähigt werden. Dazu sollten wir uns auch darüber klar werden, welche Kompetenzen es dafür überhaupt zu vermitteln gilt. Obwohl es dazu rege Diskussionen gibt, werden bestimmte, wichtige Kompetenzen, nämlich die Befähigung zur gesamtgesellschaftlichen und moralischen Bewertung, häufig aus dem Blick verloren, obwohl sie für den Fortbestand unserer liberal-demokratischen Grundordnung elementar sind. Ein Konsens, wie man „digitale Kompetenzen“ im Unterricht vermitteln kann, hinkt hinter der Geschwindigkeit der Digitalisierung her und auch die Aus- und Weiterbildung von Lehrer*innen kann momentan nicht mit den rasanten Entwicklungen in der Welt mithalten. Um diesen und anderen Problemen gerecht zu werden, braucht es interdisziplinäre Zusammenarbeit, neue Konzepte und unkonventionelle Strategien. Wir wollen mit Algoright zukünftig unseren Teil dazu beitragen, Lösungen zu entwickeln.