“Künstliche Intelligenz” (KI) entwickelt sich seit einiger Zeit zum neuen Schlagwort in der Schulbildung. Selbst wenn KI nicht immer explizit erwähnt wird oder sich teils hinter anderen Begriffen versteckt, handelt es sich um einen der nächsten Trends im Bildungsbereich. Warum sich gerade in diesem Fall eine differenzierte Betrachtungsweise lohnt und welche Überlegungen von Beginn an geboten sind, wollen wir in diesem Artikel ansprechen.

Lernen über KI – Konzeption und Verortung

Seitdem Künstliche Intelligenz (KI) im Zentrum des Wissenschaftsjahres 2019 stand, sind vielfältige Angebote zu KI im Schulkontext entstanden. Eine erfreuliche Entwicklung, die sich in verschiedensten Initiativen zeigt. Zu nennen sind beispielsweise INTELs “AI FOR YOUTH” [1], KI macht Schule! [2], die schulbezogenen Module des KI-Campus [3], Expertengremien wie der Arbeitskreis KI in Schulen (KIS) der Gesellschaft für Informatik [4] sowie Veröffentlichungen der UNESCO zu existierenden KI spezifischen Lehrplänen und Bildungsprogrammen sowie Leitlinien für die Politik. [5]
Besonders die letztgenannten Arbeiten der UNESCO bilden im Idealfall eine zentrale Grundlage für weitere Arbeiten an Lehrplänen und Unterrichtseinheiten zum Themenbereich KI, da sie bestehende nationale und transnationale Vorstellungen von (digitalen) Kompetenzen zielgerichtet mit Blick auf KI ergänzen und auf bestehende politische Leitlinien, wie beispielsweise die „EU Ethics Guidelines for Trustworthy AI“[6] verweisen.
Nach dem Vorhandensein von ersten Curricularen Konzepten, Weiterbildungsmöglichkeiten und Materialgrundlagen stellt sich nun die Frage wie und wo der Themenkomplex KI im derzeitigen Schulsystem und Unterricht verortet werden könnte.

Verortung im Bildungssystem

Das derzeitige Bildungssystem grenzt Themenbereiche oft durch ein starkes Denken in Fächern und dazugehörigen Lehrplänen ab. Demzufolge wird der Themenkomplex KI inhaltlich bzw. fachspezifisch im Informatikunterricht seinen Platz finden. Mit Blick auf einen “Unterricht unter den Bedingungen einer digitalen Realität” [7] wäre hingegen eine fächerübergreifende Thematisierung wünschens- und erstrebenswert. Hierbei sind zwei Szenarien denkbar. Zum einen könnten sich Lehrpersonen unterschiedlicher Fächer projektbezogen zusammenschließen [8], zum anderen wäre eine ergänzende Beschäftigung mit der Thematik KI in weiteren Schulfächern umsetzbar.
Die Möglichkeiten, KI als Lerngegenstand in andere Schulfächer als die Informatik zu integrieren, sind dabei vielfältig. Beispiele hierfür sind: Der Ethik-/ Religionsunterricht zum Themenbereich diskriminierende KI und Überwachung, der Geschichts- und Politikunterricht im Kontext von Quellenkunde und Desinformation (Deep Fakes), der Sprachunterricht bei der Anwendung von Übersetzungswerkzeugen und Textproduktion (GPT-3)[9] oder der Kunstunterricht bei der Frage nach computergenerierter “Kunst” (DALL-E)[10]. Diese und weitere Möglichkeiten eröffnen Brücken zu KI als einem fächerübergreifenden Thema.

Verbindung mit Konzepten einer neuen Lernkultur

Diese Räume zu nutzen, wäre mit den bereits formulierten Erwartungen an die Schule von heute in Einklang zu bringen. Sowohl die Anforderungen an Unterricht (Bildung in der digitalen Welt: Strategie der Kultusministerkonferenz)[11], als auch die gewünschten Kompetenzen auf Seite der Lehrenden(DigiCompEdu)[12] bilden Kompendien ab, die eine anstehende Veränderung in der Lern- und Unterrichtskultur nahelegen. Der Kompetenzkatalog für Lehrpersonen auf EU-Ebene (DigiCompEdu) nimmt darüber hinaus auch den Bereich von “assessment strategies” besonders in den Blick. Hier genannte Vorgaben, legen den Einsatz von KI zur Lehre nahe. Das zeigt sich z.B. in Aufträgen wie: “To use digital assessment tools to monitor the learning process and obtain information on learners’ progress.”[13]. Hierin zeigt sich der Wunsch digitale Werkzeuge zur Diagnostik und ggf. auch Leistungsbewertung einzusetzen. Neben KI als Lerngegenstand müssen wir uns also auch mit den Herausforderungen beim Einsatz von KI als Lernsoftware auseinandersetzen.

 

Lernen mit KI – Diagnostik und Prüfen

Die Visionen und Erwartungen beim Lernen mit KI sind durchaus groß, betrachtet man Videos zum Themenbereich. [14] [15]
Auch wenn eine vermeintlich vollumfängliche Aufmerksamkeits- und Leistungsüberwachung, wie sie teilweise in China versucht wird [16], in Deutschland schon rechtlich nicht denkbar wäre, beginnt die Frage nach der Verwendung von Lerndaten im Unterrichtskontext schon früher. Neben datenschutzrechtlichen [17] und KI spezifischen Fragestellungen, wie beispielsweise der Nachvollziehbarkeit, Vorhersagekraft (prädiktiven Validität) oder Erklärbarkeit, stellen sich auch pädagogische vor dem Einsatz von intelligenten tutoriellen Systemen (ITS), wie Software rund um KI, learning analytics und Automatisierung derzeit in einen länderübergreifenden KMK-Projekt [18] genannt wird.

Vermeintliche Vorzüge

Der Einsatz solcher Software scheint gesetzt und es geht demnach weniger um die Frage nach dem Ob und Wann, als um das “Wie setzen wir KI zukünftig in der Bildung ein?”. Dieser Fokus betrifft Lernmodelle, didaktische Entscheidungen und die Nutzung im Rahmen von Leistungsbewertungen. So ermöglicht der Einsatz von KI eine Vielzahl an einzelnen kleinen Leistungsmessungen und erfüllt somit den Wunsch nach einer breiteren Datenbasis bei Leistungsbeurteilungen. Weiterhin scheint es auf den ersten Blick schlüssig, dass ein datengestütztes Entscheidungssystem besser auf die individuellen Lernbedürfnisse (Individualisierung und Binnendifferenzierung) eingehen kann und ferner objektiver als ein Mensch entscheidet. [19] Dass dies nicht zwangsläufig zutrifft, zeigt sich an einer Vielzahl offener Fragen: Welchen Entscheidungen kann man vertrauen, welche sollte man überprüfen und womöglich umkehren, welchen kann man bedenkenlos folgen, und über welche sollte man sich hinwegsetzen? Wie erkennt man Fehler und woran erkennt man Gründe, die maschinelle Entscheidung in Zweifel zu ziehen? Wann muss man sich als Lehrperson rechtfertigen können? Unter welchen Umständen ist die Lehrperson für Fehler verantwortlich und entstehen Anreize, die Verantwortung “dem System zu überlassen”?
Wenn KI der Lehrperson als Zielgruppe verspricht ihr mehr Zeit (für Unterricht) zu verschaffen, läuft sie zugleich Gefahr die Lernenden aus dem Blick zu verlieren. Das konkrete Geflecht aus Software, Lehrende, Eltern und Lernende entscheidet im Einsatzszenario über Sinnhaftigkeit und Zielerreichung. Die Hypothese lautet: Ein Unterricht, der verstärkt Learning Analytics und KI dazu nutzt, Leistung zu messen, läuft Gefahr negative Überwachungstendenzen sowie Leistungsdruck zu stärken und dabei nicht zwingend das Lernen zu fördern. Selbst mit guter Absicht und der Beteuerung “keinesfalls die Lehrperson ersetzen zu wollen”, sollten sich Anbieter von Edutech auch der Frage stellen, welche pädagogische Grundausrichtung sie unterstützen möchten und welche Innovation des Lernens sie neben der Technischen bespielen. Es erscheint ernüchternd, dass trotz des gebetsmühlenartigen Wiederholens der Formel “Pädagogik vor Technik” gerade hier zu selten der Stand und die Entwicklung des Lernens in den Blick genommen wird. [20]

Herausforderungen des Bildungssystems

Ziel sollte es daher sein, frühzeitig mögliche Verwendungszwecke abzustecken, große Ansprüche an Transparenz und Erklärbarkeit zu stellen und vor der Nutzung über grundlegende Probleme automatisierter Entscheidungen aufzuklären, denn gemäß der Erfahrung aus anderen Einsatzfeldern von KI, wird die Lehrperson als “Human-in-the-loop” nicht zur Absicherung ausreichen. Die Idee, dass ein Mensch im Rahmen eines ansonsten (teil-)automatisierten Entscheidungsprozesses ein Allheilmittel für die Herausforderungen darstellt, die mit KI einhergehen, greift zu kurz. Damit das Zusammenspiel aus Lehrperson und KI effektiv funktioniert, müssen viele Bedingungen zusammenkommen. Beispielsweise muss die entsprechende Software auf Herz und Nieren geprüft (erfordert Einsicht), beständig evaluiert und ggf. überarbeitet werden. Damit die Lehrperson diese Werkzeuge richtig nutzen kann, bedarf es der richtigen Kompetenzen und daher auch ständiger Trainings und Schulungen.
Das aber zeichnet zunächst ein besorgniserregendes Szenario, ist es mit Blick auf deutschlandweit schwindende Ressourcen im schulischen Bildungsbereich doch gerade die Lehrperson, der man zeitliche Entlastung im Bereich der Diagnostik anbieten möchte. Doch will sie sich nicht (vorerst in Teilen) blind ersetzen lassen, stehen erneut Mehrarbeit und komplexe Entscheidungen ins Haus. Diese sind wohl auch nötig, um den eingangs erwähnten Wandel der Schul- und Unterrichtskultur zu gewährleisten. Von kommerziellen Anbietern wird man nicht erwarten können, dass sie einen Wandel für das Bildungssystem initiieren, ergo Produkte für eine Zielgruppe entwickeln, die (noch) gar nicht groß genug ist. Die Aufgabe der Einordnung, sinnvollen didaktischen Umsetzung und Nutzung von KI fordert demnach erneut Ressourcen im Bildungssystem.

 


 

Fußnoten

 

[1] https://www.intel.com/content/www/us/en/corporate/artificial-intelligence/digital-readiness-ai-for-youth.html

[2] https://ki-macht-schule.de/

[3] https://ki-campus.org/blog/ki-in-der-schule

[4] https://fb-ki.gi.de/gliederungen/ak-ki-in-schulen-kis

[5] https://unesdoc.unesco.org/ark:/48223/pf0000380602 und https://unesdoc.unesco.org/ark:/48223/pf0000376709

[6] https://digital-strategy.ec.europa.eu/en/library/ethics-guidelines-trustworthy-ai sowie weiterführend dazu: https://algoright.de/2019/07/10/die-10-gebote-fuer-den-einsatz-von-kuenstlicher-intelligenz-in-der-personalarbeit/ und https://algoright.de/2019/05/11/erklaerbare-intelligente-systeme-was-soll-das-sein-und-warum-braucht-man-das/

[7] https://algoright.de/2019/03/06/unterricht-unter-den-bedingungen-einer-digitalen-realitaet/

[8] https://algoright.de/2019/03/20/360-bildung-fuer-eine-nachhaltige-und-digitale-welt/

[9] https://openai.com/api/

[10] https://openai.com/blog/dall-e/

[11] https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/PresseUndAktuelles/2018/Digitalstrategie_2017_mit_Weiterbildung.pdf

[12] https://publications.jrc.ec.europa.eu/repository/handle/JRC107466

[13] ebd. S. 62

[14] https://www.youtube.com/watch?v=xW1jg1UiVwo

[15] https://www.youtube.com/watch?v=eHab0NvT8FQ

[16] https://www.youtube.com/watch?v=JMLsHI8aV0g

[17] Eine Anfrage beim Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit in Mecklenburg-Vorpommern (https://fragdenstaat.de/anfrage/datenschutzrechtliche-bewertung-zum-intelligenten-tutoriellen-systems-its-area9-rhapsode/) auf Grundlage der Informationen aus einer kleinen Anfrage der Partei DIE LINKE zum Einsatz eines ITS in Sachsen-Anhalt (https://www.landtag.sachsen-anhalt.de/fileadmin/files/drs/wp8/drs/d0307dak.pdf) wirft beispielsweise Fragen zur Einbindung der jeweiligen Landesdatenschutzbeauftragten auf.

[18] https://www.kmk.org/de/themen/bildung-in-der-digitalen-welt/laenderuebergreifende-projekte.html

[19] https://dl.acm.org/doi/pdf/10.1145/3491102.3517527

[20] https://axelkrommer.com/2018/04/16/warum-der-grundsatz-paedagogik-vor-technik-bestenfalls-trivial-ist/