Vorabinformation und Kontext

Ich unterstütze ausdrücklich das Vorhaben eines Single sign-on (SSO) zur Einbindung von Diensten und Angeboten im Bildungsbereich und hoffe mit diesem Kommentar als critical friend einen Teil zum Gelingen beizutragen.

Der Artikel ergänzt die Argumente und Fragen der Panel-Diskussion “Connecting Data” der Bitkom Bildungskonferenz vom 22.03.2023. Am 12.04.2023 ist ein Nachtrag zu diesem Artikel von uns veröffentlicht worden.

Ich beschäftige mich in meiner Rolle als Mitglied des Vereins Algoright e.V. mit dem Vorhaben. Der Verein ist weder Projektpartner, noch hat er an Ausschreibungen zur Plattform teilgenommen.

Link zur Diskussionsrunde

Was ist die Nationale Bildungsplattform?

Die Nationale Bildungsplattform (NBP) soll das deutsche Bildungssystem zukunftsfähig machen und den Anschluss an die internationale Entwicklung im Bereich der digitalen Bildung herstellen. Ziel ist es, eine umfassende, nutzerzentrierte und sichere digitale Infrastruktur zu schaffen, die Bildungsinhalte und -angebote unterschiedlicher Anbieter und Bildungseinrichtungen bündelt und leicht zugänglich macht. Die NBP soll hierzu als Schnittstelle zwischen den verschiedenen Akteuren des Bildungssystems fungieren und den Nutzer:innen auf ihrer lebenslangen Bildungsreise neben Weiterbildungsangeboten auch eine Wallet für Leistungsnachweise bereitstellen. Dem Vorhaben steht dafür ein DARP-Gesamtvolumen von 630 Millionen Euro zur Verfügung.

Welche Bildungsvorstellung steckt im Plattformdesign?

Eine Frage, die es auch auf das Panel geschafft hat, ist jene nach dem Bildungsbegriff, der explizit auch in der Wikimedia Studie [1] diskutiert wird.

Dahinter verbirgt sich zum einen der Vorwurf einer Fixierung auf Abschlüsse und geschlossene Lerneinheiten und zum anderen die Frage danach, ob bestimmte Werkzeuge, die einen Eingang in eine zentrale Infrastruktur wie die der NBP finden, dort eine einseitige Bildungsvorstellung prägen.

Der erste Punkt ist umso interessanter, da das Vorhaben ausdrücklich ein “lebenslanges Lernen” in den Fokus rückt und dies nicht Assoziationen mit abgeschlossenen Prüfungseinheiten weckt. Die Frage, die sich anschließt, ist aus meiner Sicht daher: Will man ein bestehendes Bildungssystem abbilden und Möglichkeiten der Nutzung am Ist-Zustand orientieren oder bewusst Lernen (r)evolutionieren? Die Tür dazu ist derzeit m. E. noch offen. Die stärkere Berufung auf infrastrukturelle Aufgaben durch das BMBF und auch die Zurückhaltung in Sachen Content-Prüfung lassen den Schluss zu, dass man sich derzeit in Sachen Bildungsdefinition nicht festlegen möchte.

Ich werbe hier zu einem besonnenen Blick, solange eine Offenheit gegenüber der angebundenen Werkzeuge und Inhalte erhalten bleibt. Im worst case sind die Angebote nicht passend auf das Lernen abgestimmt. Dass aber eine Plattform einen solchen Einfluss gewinnt, dass sie Lehre und Lernen strukturell und inhaltlich bestimmt, erwarte ich derzeit nicht. Weiterhin sehe ich hier die Möglichkeit, durch das dynamische Beschaffungssystem nachzusteuern und auch im späteren Betrieb entsprechende ausgleichende Vorhaben gezielt zu fördern.

Wie kommen die Nutzer:innen zum Produkt?

Eine bisher noch große Blackbox ist die spätere Gewinnung von Nutzer:innen. Zum einen ist fraglich, wie der initiale Zugang zur NBP gestaltet sein wird (Weiterbildung / Einführung), zum anderen aber auch wie man eine kritische Masse an verbindlichen Nutzer:innen erreichen möchte.

Zwar spricht man von einer geplanten freiwilligen Nutzung [2], spätestens bei der Nutzung im Kontext von Schule, würde dieser Weg aber steinig, da auf Klassenebene oft Einheitlichkeit mit Blick auf Lernmedien herrscht. Natürlich könnte man sich hier auch andere Settings von Unterricht vorstellen, das würde aber wiederum nicht zum beschriebenen Zögern in Sachen “Bildungsbegriff” passen. So müsste man hierfür bewusst auf ein individualisiertes und selbstorganisiertes Lernen setzen.

Warum überhaupt das Einführungsbeispiel im Schulkontext? Eine allzu große Auswahl an biographischen Schnittstellen hat man nicht zur Auswahl, wenn man eine breite Nutzung der Infrastruktur anstrebt. Außerdem hätte die Einführung im Schulkontext den Vorteil, auch gezielt Unterstützung im eigenen Interesse liefern zu können. Was es dann jedoch braucht, ist ein gutes und überzeugendes Angebot für die Stakeholder in den Ländern und Schulen.

Denn die Entscheidung, ob die NBP genutzt und in der Schule eingeführt wird, würde damit auch bei den Ländern liegen. Dass dieses Werkzeug aus Eigenmotivation von Bürger*innen in der Breite entdeckt und genutzt wird, ist aus meiner Sicht unwahrscheinlich. Weiter noch ist die Vorstellung eines selbstgesteuerten lebenslangen Lernens ein hoher Anspruch, der auch entsprechend gelernt / gelehrt werden müsste.

Nach einer längeren Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex und einer Recherche der öffentlichen Informationen fehlt mir immer noch die Vorstellungskraft für einen konkreten Ablauf in der Praxis. Wie würde z.B. eine Schülerin in Klasse 7 mit der Plattform arbeiten? Welche Rolle spielen die Eltern? Wer entscheidet über gemeinsame Werkzeuge? Welche Aufgaben kommen auf die Schulen zu? Wer übernimmt z. B. die Verwaltung und das Einpflegen der Daten? […]

Aber auch der Prozess der Angebotsbereitstellung im System selbst bleibt derzeit noch rätselhaft. Nehmen wir den rudimentären Prozess, in der z.B. eine Lehrkraft oder Institution Inhalte kauft und diese von einem Anbieter zu einem Plattformdienst (LMS) innerhalb der Infrastruktur transportieren möchte. Was sich alltäglich anhört, kann technisch schnell komplex werden, hält man sich vor Augen, dass die Infrastruktur selbst keine Lernplattform ist und die Anbieter aufgrund der Schnittstelle nicht zwingend voneinander wissen. Von dem Problem der ggf. notwendigen Zahlungsvorgänge mit Kostenstellen bei unterschiedlichen Trägern einmal ganz abgesehen.

Bedenken zu Wünschen und Algorithmen

Mit Blick auf das Wunschformular für Anbieter bei VIDIS (einem parallelen SSO-Vorhaben der KMK) und der derzeitigen Zurückhaltung bei Fragen nach einer Content Prüfung im Rahmen der NBP drängt sich die Frage auf, wie mit Werkzeugen großer Anbieter (ggf. auch außerhalb des EU-Raums) verfahren werden wird. Der Ruf nach Software großer Konzerne wurde bisher meines Wissens nicht thematisiert. Auch hier wäre ein Anschluss mittels SSO möglich, sofern keine sachlichen Kriterien entgegenstehen. Zumindest im Kontext einiger Universitäten sind Dienste im Einsatz, die in Schulen häufiger zu Datenschutzfragen führen. Wäre hier nicht auch für die Konzerne eine neue Möglichkeit gegeben, die Zulassungsfragen einmal zentral zu klären und ggf. auch eine Klagemöglichkeit wegen staatlicher Wettbewerbsverzerrung zu prüfen, sollte ein Zugang verhindert werden?

Hieran schließt sich die Frage nach dem Umgang mit Daten und Transparenz gegenüber Algorithmen an (z.B. in Bezug auf Empfehlungsalgorithmen und die Datennutzung durch angebundene Werkzeuge). Die Offenheit in diesen Fragen könnte sich späterhin noch rächen und ein andauernder Punkt im Risikomanagement des Infrastrukturbetriebs werden, sofern man sich hier nicht entsprechend abgesichert hat.

Zumindest eine Form von Such- und Empfehlungssystemen soll es laut früherer Aussagen geben. Hierum wird man auch kaum sinnhaft kommen, haben doch Erfahrungen anderer Dienste gezeigt, dass es meist nicht an der Quantität von Content scheitert, sondern vielmehr Passung, Qualität und Auffindbarkeit ein Problem in der Nutzung darstellen.

Zum Schluss noch ein kurzer Blick auf die Wallet. Da bereits ein Vorhaben zu Zeugnissen mit Blockchain-Technologie in Deutschland unter Kritik gestoppt wurde, muss den Themen Daten- und IT-Sicherheit entsprechende Beachtung geschenkt werden. [3] Alles in allem zeichnet sich hier ein großer Berg an Arbeit ab. Das Vorhaben ist mutig daher umso lobenswerter aber eben auch ambitioniert mit einer Laufzeit bis 2025.