Ein Beitrag von Moritz Schillo und Kevin Baum

Mit seiner Aussage auch die Gamer*innen-Szene nach der schrecklichen Tat in Halle unter dem Blickwinkel rechter Tendenzen beobachten zu wollen, sorgte Horst Seehofer (CSU) für einigen Wirbel. Insbesondere die angesprochene Gamer*innen-Szene machte ihrem Unmut und Ärger mit beißendem Spott in sozialen Netzwerken Luft. Oft anzutreffende Beiträge arbeiteten sich daran ab, wie harmlose und friedliebende Spiele die Beitragsschreiber*in radikalisierten, und knüpften damit an den Killerspiele-Diskurs der frühen 2000er Jahre an. Ob Horst Seehofer den Zusammenhang zwischen Verhaltensmustern und Computerspielen überhaupt meinte, blieb dabei unangetastet.

Für viele bestand die Verärgerung und Irritation auch darin, dass man sich nun auf eine mehr oder weniger arbiträr ausgesuchte Szene konzentrieren solle, während rechtsextreme, rassistische und sexistische Vorstellungen gesamtgesellschaftlich auftauchen. Ungewollt oder gewollt hatte es Seehofer mit seiner Erwähnung der Gamer*innen-Szene allerdings geschafft, dass sich Teile des Diskurses in sozialen Netzwerken plötzlich mit der Gamer*innen-Szene oder auch Kultur beschäftigten und mit den dort vorhandenen rechten Tendenzen. Und das auch nicht zu unrecht: Wer sich schon einmal in Spielrunden beliebter Titel gewagt hat, kennt die dort oft rassistische, frauenfeindliche oder generell menschenfeindliche Umgangsart.

Leider geht es unseren Eindrucks nach auf beiden Seiten der Diskussionslinie nicht sonderlich differenziert zu. Seehofers Kommentar kann man wohlwollend interpretiert auch so verstehen, dass ihn dieser Fragenkomplex umtreibt: Wie und wo radikalisieren sich Gamer*innen? Dieser Fragenkomplex lässt sich allerdings nicht mit pointierten Kommentaren in sozialen Netzwerken ausräumen, da er nicht notwendigerweise etwas mit der Killerspiel-Debatte zu tun hat.

Natürlich kann dieses Thema nicht ohne den gesamtgesellschaftlichen Kontext betrachtet werden. Die Gamer*innen-Szene ist kein Mikrokosmos, der sich von alleine radikalisiert, weil er mit Computerspielen verknüpft ist. Sie steht immer in Wechselwirkung mit der analogen Gesellschaft, in der sie stattfindet. Sollte sich Seehofer also ernsthaft für rechte Tendenzen in der Gamer*innen-Szene interessieren, stellen sie keine Möglichkeit dar, vom gesamtgesellschaftlichen Problem abzulenken.

Digitalisierung gut und richtig zu gestalten hat viele Dimensionen und einige davon lassen sich anhand dieser Debatte aufzeigen — wenn man sie denn differenziert angeht. Wir bei Algoright verstehen es daher als unsere Aufgabe, die richtigen Leitplanken für die Diskussion zu setzen. Natürlich können wir hier keine empirische Forschung betreiben, welche uns konkrete Antworten liefert, oder ausgereifte Konzepte entwickeln, wie man mit bestimmten Problemen innerhalb der Gamer*innen-Szene umgehen sollte. Unsere Überlegungen wollen den Diskurs, der momentan noch (absichtlich oder unabsichtlich) etwas aneinander vorbei geht, auf die Stellschrauben und Facetten aufmerksam machen, welche für Gaming als typische Rahmenbedingungen und Probleme zu betrachten sind. Die brennende Frage ist also: wieso hat Seehofers Fokus auf ‘die Gamer*innen-Szene’ zumindest initiale Plausibilität?


Die Gamer*innen-Szene? Welche Gamer*innen-Szene?

Wenn man sich mit der Gamer*innen-Szene oder Subkultur auseinandersetzt, stellt man schnell fest, dass schlicht keine einheitliche Kultur existiert und sich die Gaming-Subkultur schlecht von anderen Communities im Internet trennen lässt. Es gibt eben nicht nur ein Spiel oder eine Plattform, auf der gespielt wird: Gamer*innen verteilen sich auf höchst unterschiedliche Räume digitalen Spielens. Die einen zocken für sich allein an einem Handheld-Gerät, die anderen mit Freunden auf einer Konsole im Wohnzimmer und wieder andere treiben sich auf Plattformen wie Steam herum, wo sie in kompetitiven Spielen gegeneinander antreten. Große Teile der ‘Gaming-Szene’ kommen somit niemals in Kontakt mit anderen Menschen, die in der Gaming-Szene zu verorten sind.

Der junge Spieler, welcher Candy Crush oder ähnliche Spiele auf seinem Smartphone spielt, kam unter Umständen noch nicht einmal mit Gamer*innen aus dem Ego-Shooter-Bereich während ihrer Spieleerlebnisse in Berührung, weil sich schlicht Genre und gewählte Plattform so grundlegend unterscheiden. Das ist auch kein unbekanntes Phänomen: Jemand, der Curling betreibt, hat nicht automatisch Kontakt mit Personen, welche im Fußball aktiv sind, nur weil sie beide Sport treiben. Es gibt beim Gaming also genauso wenig eine einheitliche Subkultur oder Szene, wie es sie beispielsweise im Sport gibt — in dem Sinne, dass sich nicht alle einen Raum teilen.

Außerdem würde ein solches Verständnis der Gaming-Szene als Szene derer, die spielen, einen gewaltigen Teil der gelebten Praxis innerhalb der Szene ignorieren und damit einen Teil der Partizipierenden. Gemeint sind hier beispielsweise Personen, die nicht (mehr) aktiv spielen, sondern passiv Let’s Plays oder Twitch Streams konsumieren. Auch wenn sie nicht aktiv ‘zocken’, gestalten sie durch ihre Unterstützung und ihre Kommentare die Szene mit und werden durch sie geprägt. Die Idee, die Gaming-Szene am Spielen festzumachen, ist somit gleichzeitig zu weit und eng, um die Subkultur sinnvoll zu erfassen — vor allem wenn man sich mit der Problematik innerhalb der Szene beschäftigen möchte.

Eine klare Abgrenzung zu anderen Szenen oder Subkulturen gestaltet sich darüber hinaus schwierig, weil sich die Communities nicht immer auf den Spiele eigenen Plattformen zusammenfinden. Während sich Gruppen auf Steam klarer der Gaming-Szene zuschreiben lassen, ist das auf Imageboards wie 4chan oder 8chan und großen Foren wie Reddit fast unmöglich. Dort treffen mehrere verschiedene Interessenlagen aufeinander, die teilweise gar nichts mit Gaming zu tun haben: Meme-, Troll- und Animekultur sind beispielsweise typische Erscheinungen auf Imageboards, die primär zum Austauschen und Diskutieren von Mangas und Animes gegründet wurden, heute aber eine viel breitere Kli­en­tel anziehen. Wer dort die Gamer*innen-Szene beobachten möchte, müsste klar trennen können, welche Subkultur er gerade tatsächlich im Blick hat — was durch die Anonymität von Imageboards zusätzlich erschwert wird. Im schlimmsten Fall überwacht man Internetkultur im Allgemeinen und klassifiziert sie fälschlicherweise als Gamer*innen-Szene.

Dass diese unterschiedlichen Subkulturen auch nicht einfach gleichzusetzen sind, zeigt unter anderem die Selbstbezeichnung des mutmaßlichen Täters von Halle: Dieser nannte sich “Anon” und “Weeb“. Ersteres ist die Standardbezeichnung von anonymen Postern auf Imageboards und damit namensgebend für Gruppierungen wie Anonymous. Zweiteres ist eine abwertende Bezeichnung für eine Person, die sich für Manga, Anime oder die japanische Kultur interessiert. In Teilen der Gaming-Szene existiert eine hartnäckige Ablehnung gegenüber diesen Menschen, außerdem sind “Weeb” oder auch “Weeabo” gängige Beleidigungen.


Woher Sexismus und Rassismus in offenen Spielrunden kommen

In vielen Multiplayer-Runden bekannter Titel trifft man eine Vielzahl von rassistischen und sexistischen Äußerungen oder Verhaltensmustern an. In Spielen wie DotA 2 ist es traurige Realität, dass Frauen die Audiokommunikationsfunktion nicht nutzen, weil sie sonst als Frau erkannt und beleidigt werden. Darüber hinaus gibt es bei größeren Titeln auf unterschiedlichen Professionalitätsebenen immer wieder rassistische Ausfälle von Spieler*innen oder anderen Beteiligten. Diese Äußerungen und Verhaltensweisen sind nicht losgelöst von analogen Sichtweisen und Diskursen und sind in ihnen begründet. Interessant ist aber ihr Effekt auf die Gaming-Szene, weil sie dort wiederum Effekte auf andere Menschen haben, und die Frage welche Strukturen und Anreize innerhalb der Gaming-Szene zur Verstärkung (oder Dämpfung) dieser Verhaltensmuster beitragen (könnten).

Die Gründe für ausgrenzende Phänomene sind vielfältig. Ein gängiges Problem innerhalb Europas bei Spielen, welche über die Plattform Steam gespielt werden, ist der Hass oder die feindliche Haltung gegenüber russischen Spieler*innen. Russische Spieler*innen werden als Fremdkörper oder Problem wahrgenommen, weil sie oft nicht die Verkehrssprache Englisch beherrschen und somit einen Nachteil in teamorientierten, kompetitiven Spielen darstellen. Es ist zunächst unverständlich, warum eine so große Gruppe wie die russische Gamer*innen-Szene auf mittel- und westeuropäischen Servern spielt, wo sie doch eigene, ‘russische’ Server vom Steam-Betreiber Valve gestellt bekommen. Das tatsächliche Problem besteht nicht darin, dass russische Spieler*innen die europäischen Gamer*innen Ärgern wollen oder ihr Spiel ruinieren, sondern hängt an der simplen Tatsache, dass die russischen Server Valves für das Spiel DotA 2 auch in Mittel- bzw. Nordeuropa stehen: Die russischen Server sind in Stockholm lokalisiert. Für russische Spieler*innern gibt es somit gar keinen Anreiz auf ihren eigenen Server zu spielen, weil sich die Latenzzeiten und Verbindungsqualität gar nicht von denen zu ‘europäischen Servern’ unterscheiden. Ganz ähnlich verhält es sich übrigens mit Peru und nordamerikanischen Servern. Hier ist also die Infrastruktur in Verbindung mit dem kompetitiven Spielziel der Grund oder Anreiz, warum Menschengruppen ausgegrenzt und als Problem betrachtet werden.

Ein weiteres Problem stellen die Kommunikationsmöglichkeiten innerhalb der Spiele dar. Niemand kann bestreiten, dass mindestens kompetitives Spielen Ärger und auch echte Aggressionen verursachen kann und oft auch verursacht. Gerade in schnellen Spielen mit echten Gegnern kochen die Emotionen hoch. Moderne Spiele ermöglichen immer direktere Wege, diese Emotionen unvermittelt Teamkollegen oder gar Gegnern entgegenzuschleudern: Wo früher, wenn überhaupt, Textchats zur Verfügung standen und Audiokommunikation oft nur über Umwege möglich war, kommt heute fast jedes entsprechende Spiel mit eingebauter Sprachfunktion. Neben der Tatsache, dass so ein unvermitteltes Ventil für Emotionsausbrüche und damit ungefilterte und unüberlegte Äußerungen bereitgestellt wird, ermöglicht ein solcher Kanal es, Teamkollegen aufzupeitschen und Gegner zu beleidigen und zu provozieren, um so einen Vorteil im ‘Metagame’ zu erlangen. Das wiederum ermutigt zu Reaktionen. Wo früher maximal der Schreibtisch oder die Tastatur für körperliche Angriffe, begleitet von einem lauten Fluch, herhalten musste, entstehen heute zunehmend Schreiduelle mit immer schlimmeren Beleidigungen. Hier wiederholt sich, was in Foren geschrieben steht: eine frauenfeindliche, antisemitische und zutiefst diskriminierende Sprache des Hasses und der Aggression. Darüber wiederum wird dann in Foren im selben Stil geschrieben.  Aggressionsfördernde und -ermöglichende Anreize sind somit zunehmend in Spiele eingebaut und die Kanäle, die entsprechenden Emotionen zu transportieren, ebenso. Es ist kein Zufall, dass sich in diesem Umfeld eine entsprechende Kultur manifestiert.

Die Kommunikationsmöglichkeiten haben dadurch einen direkten, verdrängenden Effekt. Vergleicht man beispielsweise ein ebenfalls kompetitives Spiel wie das Online-Sammelkartenspiel Hearthstone mit einem gängigen MOBA, fällt unter anderem auf, dass Frauen eine größere, wenn auch nicht große Bedeutung innerhalb der Szene spielen. In Hearthstone gibt es beispielsweise bekannte Gamerinnen und Streamerinnen wie Hafu, Alliestrasza oder Eloise, während man in MOBAs vergeblich nach Frauen sucht. Dies erklärt sich vermutlich auch durch das bereits beschriebene Problem, dass sich Frauen nicht trauen, sich als Frauen zu erkennen zu geben, was aber im Regelfall durch die Nutzung der Kommunikationsmöglichkeiten geschehen würde. Die Kommunikationsmöglichkeiten nicht voll ausnutzen zu können, bedeutet in teamorientierten Spielen aber immer einen kompetitiven Nachteil, wodurch Frauen strukturell benachteiligt sind. In Hearthstone als nicht teamorientiertes Spiel mit wenigen Kommunikationsmöglichkeiten sind sie in dieser Hinsicht nicht benachteiligt. Sie können unbehelligt spielen und erfolgreich sein, was ihre Anerkennung innerhalb der Szene ermöglicht. In MOBAs wird ihnen das strukturell versagt. Die Lösung für ein solches Problem darf natürlich nicht darin bestehen, teamorientierten Spielen die Kommunikationsmöglichkeiten zu entnehmen. Hier bedarf es neben kreativen Lösungen von Entwickler*innen einem beharrlichen Einsatz der Community, die sich gegen rassistische und sexistische Äußerungen stellen muss. Denn die strukturelle Benachteiligung ergibt sich ja nicht aus der technischen Umsetzung an sich, sondern erst aus dem Zusammenspiel der Technik (Audiokommunikation) mit dem sozialen Gefüge (bereits etablierte frauenfeindliche Umgebung). Zusätzlich muss von staatlicher Seite digitale Gewalt ernst genommen und entsprechend bekämpft werden.

Spieleentwickler*innen reagieren auf diese Probleme mit Bestrafungssystemen. Verhaltenspunkte sollen beispielsweise negativ bewertete Spieler*innen nur noch untereinander spielen lassen. Leider verstärkt man damit nur noch den Filterblaseneffekt, den es ohnehin schon gibt: Spieler*innen, welche sich in einer männlich dominierten Subkultur noch sexistischer oder rassistischer verhalten, werden ausschließlich in dieselben Spielerunden gepackt. Im Ergebnis werden ihre bereits diskriminierenden Verhaltensmuster und Äußerungen zwar von einem Regelsystem sanktioniert, die neue Mitspielerschaft aus anderen negativ bewerteten Spieler*innen lässt das eigene Verhalten aber als sozial akzeptiert erscheinen. Ein simpler Ausschluss einer Spieler*in aus einigen Spielen ist auch deswegen kein Heilmittel, weil sich eine größer werdende Zahl von Spielen über Mikrotransaktionen finanziert, welche nur kosmetische Veränderungen für die Spieler*innen bewirken. Um sich neu zu registrieren, muss keine finanzielle oder anders geartete Hürde überwunden werden. Es wäre daher angebracht, neue Wege zu finden, Spieler*innen zu sanktionieren, ohne sie in ihrem Tun zu bestätigen oder zu ermuntern.


Radikalisierung in Gruppen

Das führt uns zu der Frage, aus welchen Gründen sich besonders Gruppen innerhalb der Gamer*innen-Szene radikalisieren und extremistische Tendenzen zeigen. Als Gesellschaft haben wir einige klassische Orte toxischer Männlichkeit und Orte implizit und explizit akzeptierten Rassismusses, Sexismusses und Antisemitismusses ausgetrocknet, an vielen weiteren Orten werden die entsprechenden Verhaltensweisen jedenfalls markiert, gebrandmarkt und adressiert. Was ein großartiger kultureller Fortschritt ist, führt aber auch zu einem ‘Migrationsdruck’ derer, die aus welchen Gründen auch immer das Bedürfnis haben, entsprechende Verhaltensweisen auszuleben. Das treibt jene an Treffpunkte einer Subkultur, die auch mit Gaming zu tun hat: Imageboards, Steamgruppen usw. Hier sind junge Männer, oft solche mit einem ganzen Haufen sonstiger sozialer Probleme, unter sich – und das heißt: hier fühlen sie sich unter Gleichen.

Die Reise an diese Orte ist in mehrfacher Hinsicht unproblematisch. Sie sind nicht schwer zu finden, beispielsweise sind sie nicht „verborgen im Darknet“ oder erfordern vorherigen Zugang zu einer Szene in der materiellen Welt. Zusätzlich sind die Spiele, die die Eingangsmotivation zum Betreten dieser Welt sind, zunehmend kostenlos (free to play), was die Hürden zum Betreten dieser Welt noch weiter herabsetzt. Sie sind aber doch außerhalb der alltäglichen Sichtbarkeit der meisten anderen angesiedelt: Es ist unwahrscheinlich, dass das soziale Umfeld etwas von den eigenen Ausflügen mitbekommt. Zugleich ist der Zugang unauffällig. Es kann von außen betrachtet schwer sein, zu bemerken, wann jemand beginnt, sich dort häufiger herumzutreiben, denn ohne tiefere Einblicke kann ein ungesunder Umgang kaum von „normalen“ Chats und Spielrunden nicht ohne Weiteres von einem problematischen Umgang unterschieden werden.

Plakativ gesprochen, führt all das — die berechtigte zunehmende gesellschaftliche Ächtung bestimmten Verhaltens bei gleichzeitiger einfacher Verfügbarkeit alternativer ‘Schutzräume’ — dazu, dass wir Ressentiments von unseren Bierstuben in die Zockerstuben verlagert haben, vom öffentlich mehr oder minder einsehbaren Räumen in halböffentliche Internetareale.

Nun sind jene Areale keine, über die Oma Erna unbedingt beim Candy Crush spielen stolpert. Stattdessen sind mindestens einige von Ihnen integraler Bestandteil (Ingame-Chats und -Audiokommunikation) oder mindestens erweiterter Teil (Steamgruppen) von solchen Spielen, die insbesondere junge Männer anzieht. Auf der Suche nach dem, was sie sind, nach sich selbst, erproben sie, was sie irgendwo aufgeschnappt haben, was ihnen womöglich im Kleinen vorgelebt wurde oder plappern nach, was sie dort vorfinden.

Identitätssuche oder nicht: Ihr Verhalten füttert eine Feedbackschleife. Das Verhalten solcher junger Männer fördert deren Monokultur natürlich weiter, denn Frauen und aufgeklärtere Zeitgenossen ertragen die dort teils anzutreffende Kultur nur unter Anstrengung. Wo junge Männer, Teenager und Twens, sich dann aufstacheln können, entsteht schnell ein unguter Prozess und dort, wo die Spiele keine Themen mehr hergeben, sind bestimmte Youtube-Kanäle und die dort vertretenen Verschwörungstheorien nicht weit. Fängt man an, diese Kaninchenbauten zu verfolgen, landet man schnell an dunkleren Orten, auf Imageboards wie 4chan oder 8chan oder in geschlossenen Foren. Und selbst wenn nicht, so finden wir an diesen “Einstiegsorten” bereits so abstoßende Prozesse wie den Eklat um den ‘Drachenlord’. Mobbing und frauenverachtende Sprache findet man, ohne überhaupt suchen zu müssen.

In anderen Worten: Die Rückzugsorte toxischer Männlichkeit, Sexismus, Rassismus und Antisemitismus sind zugleich Orte, an denen die perfekte Zielgruppe leicht hineinstolpert. Es macht sie zur Brutstätte von viel mehr als ‘toxischer Männlichkeit’ und Diskriminierungsformen, nämlich für Verschwörungstheorien und systematisiertem Hass.

Es ist kein Zufall, dass diese Orte des Gamer-Milieus so sind, wie sie sind. Es handelt sich dank der bereits erwähnten Feedbackschleife um ein selbsterhaltendes System. Die nächste Generation findet vor, was die letzte dort fabriziert hat. Das zieht die dafür empfänglichen weiter an.

Zu guter letzt dienen die so geschaffene Orte und Subkulturen als willkommene Anlaufstelle für gelangweilte Trolle, die die Stimmung zum Kochen bringen wollen oder andere Interessen verfolgen, und für jene, die die Empfänglichen und Angefixten instrumentalisieren wollen. Würde man eine Verschwörungstheorie, die man womöglich nicht einmal für eine hält, verbreiten wollen, wohin ginge man wohl? Wo fände man das richtige Publikum? Das wissen die entsprechenden Akteure sicher sehr wohl. Trolle sind ein Fakt; dass es auch üble Rattenfänger gibt, ist mindestens in der materiellen Welt keine Neuigkeit. Ihre Absenz im Digitalen würde überraschen.


Fazit

Wie ist also die Tatsache kaleidoskopischer Vielfalt von Hass in bestimmten digitale Milieus zu erklären? Von Rassismus über Frauenfeindlichkeit bis zu Antisemitismus findet sich eine Konzentration von Ausfälligkeiten wo sich ‘Spieler*innen’ einer gewissen Couleur treffen und austauschen.

Wenn die von uns aufgeführten Faktoren, Anreize und Strukturen tatsächlich relevant sind, dann zeigen sie Möglichkeiten auf, zu reagieren. Nicht jede dieser Möglichkeiten ist in unseren Augen empfehlenswert, im Gegenteil. Eine Massenüberwachung der Einstiegsorte beispielsweise halten wir weder für sinnvoll noch zu rechtfertigen. Stattdessen plädieren wir für zwei Ansätze.

Zum Ersten muss ein Bewusstsein für die Existenz dieser Räume und eine Untersuchung der Mechanismen geschaffen werden, die sich hier abspielen. Staatliche Stellen müssen endlich digitale Gewalt in einem gründlichem Monitoring im Blick behalten. Es muss für Opfer Beratungsstellen geben und entsprechende Stellen in den Strafverfolgungsbehörden eingerichtet werden. Demokratiefördernde Projekte und Programme, die liberale Grundwerte und demokratisch legitime Umgangsnormen und -formen vermitteln, müssen möglicherweise Anfällige erreichen und immunisieren, bevor diese in dunkle Bereiche des Netzes abdriften. Ein gesellschaftliche Bewusstsein für die Gefahren und Nichtgefahren der digitalen Welt muss geschaffen werden. Zudem müssen Kampagnen und Programme zur Aufklärung und Prävention aufgelegt werden, die sich um Jugendliche und junge Erwachsene kümmern, welche aus Not in die digitalen Räume fliehen.

Zum Zweiten muss die Wahrnehmung der Verantwortung derer, die die Einstiegsorte schaffen und verwalten, d.h. der entsprechenden Spielehersteller und Plattformen, besser geregelt werden. Es muss Meldemöglichkeiten in den Spielen und Kommunikationsplattformen geben, diese müssen vernünftig verwaltet werden; Foren gehören ordentlich moderiert; dass entsprechende Äußerungen und problematisches Verhalten dann auch tatsächlich gemeldet werden, erfordert dabei einen kulturellen Wandel auch bei den Szenemitgliedern selbst. Dafür muss man mit ihnen ins Gespräch kommen und darf die Gesamtkultur nicht verteufeln. Nicht jeder Fluch ist ein No-Go; aus Fehlverhalten wie Ausrastern darf, ja, muss man lernen.